Die Papierfabrik Rochsburg wurde 1873 von Johann Christian Braun gegründet. Der Standort wurde nach der optimalen Leistung für die notwendige Wasserkraftanlage ausgesucht. Etwa zur gleichen Zeit begann auch der Bau der Eisenbahnlinie zwischen Penig und Lunzenau mit dem Bau des etwa 290 m langen Eisenbahntunnels und der Eisenbahnbrücke über die Zwickauer Mulde in unmittelbarer Nähe der Fabrik. Die Eisenbahn ging 1876 auf der Linie zwischen Glauchau, Rochsburg und Rochlitz in Betrieb. Dies waren in wenigen Jahren gewaltige Baumaßnahmen, die der kleine Ort Rochsburg nie zuvor erlebte. Eine etwa gleich große Fabrik zur Herstellung von Graupappe betrieb Johann Christian Braun auch noch in Colditz. Bis zur Inbetriebnahme der Bahnlinie erfolgten die Versorgung der Fabrik mit Rohstoffen und der Abtransport der Fertigprodukte mit Pferdefuhrwerken. Dafür gab es ein großes Lagerhaus auf der Fabrik-seite, am Hof. Als gestandener Unternehmer absolvierte der Gründer noch im relativ hohen Alter von 55 Jahren eine Ausbildung am Technikum zum Studium der Papierherstellung, welches er erfolgreich abschloss. Um 1880 wurde das Bahnlager erbaut. Es war mit einer Lastenseilbahn quer über den Fluss mit allen Betriebsteilen (Pappenfabrik und Papierfabrik) verbunden. Zu der Zeit eine revolutionäre Einrichtung. Rohstoffe, wie Zellstoff, Hölzer, Holzschliff, Altpapier und Kaolin konnten per Bahn geliefert werden und ebenso erfolgte der Versand von Pappen und Papierrollen. 1883 wird die Fa. Braun Rochsburg im Weltverzeichnis der Papierfabriken in Holyoke Massachusetts (USA) mit einer Papiermühle, einem Sägegatter für Bretter und 22 Karton-Maschinen erwähnt. Bereits 1888 stellte die Firma Braun zur Weltausstellung in Barcelona Holz-, Leder- und prägefähige Heißschliffpappen aus. Eine Besonderheit war die Lieferung der Produkte mit einer speziellen Braunfärbung, die das Material edel aussehen ließ und durch ein spezielles Herstellungsverfahren erreicht werden konnte. 1903 erscheint ein Beitrag im Canadian Lumberman (Canadischer Holzfäller), worin festgestellt wird, dass die Fa. Braun aus Rochsburg seit 1888 ausgezeichnete Resultate bei der Lagerung von Papierbrei in Gruben erzielt hat. Brei, der so gelagert, nach fünf Jahren herausgeholt wird, erscheint genau so frisch, als ob er erst am selben Tag angerührt worden wäre. 1923 wird die Firma Braun Rochsburg in den USA, in der Phillips Paper Trade Directory of the World (Verzeichnis der Papierfabriken der Welt) mit einer 225 cm-Papiermaschine mit einer Leistung von 200 t/Woche für weißes und koloriertes Papier genannt. Es wird die Nutzung von Dampf- und Wasserkraft angegeben. Die Firma floriert offensichtlich während der 1920íger und 1930íger Jahre gut und entwickelt sich stetig weiter. 1926 wird eine Pappenmaschine im Werk, nach Ideen von Herrn Braun entwickelt und gebaut, die zusätzlich den Zuschnitt mit ausführen konnte. Zulieferer für viele Teile der Maschine war die Fa. Krupp in Essen. 1935 bis 1936 erfolgte der Bau des neuen Heizhauses mit einem 80 m hohen Schornstein an der Bahnlinie. Damit wurde die Anlieferung von Kohle und Koks wesentlich vereinfacht, weil die Brennstoffe per Bahn angeliefert, sofort im Heizhaus bevorratet werden konnten. Seitdem existierte auch die Rohrbrücke für die Dampfleitungen. Erster Kessel des neuen Heizhauses war ein Oschatz-Sektionalkessel für Braunkohle. Das alte Heizhaus auf der Fabrikseite wurde abgebrochen und an dessen Stelle entstanden eine Betriebsküche und ein Speisesaal für die Belegschaft. Die Küche und der Speisesaal waren in der weiteren Umgebung die ersten derartigen Sozialeinrichtungen in einer Fabrik. Es gab ebenfalls eine Betriebsfeuerwehr, einen Betriebssportverein und eine eigene Musikkapelle. Man arbeitete bei „Brauns“ war einerseits der Ausdruck von der Qualität der Firma und andererseits vom Stolz, zur Elite der Papiermacher zu gehören. 1936 geht das neu gebaute Trafohaus, als modernster Bau der damaligen Zeit in Betrieb. Damit wurde die Stromversorgung des Betriebes stabilisiert und es konnten Überschüsse ans Netz abgegeben werden. 1944 wird die Papier- und Pappenfabrik Rochsburg im Birkner, einem Fachverzeichnis der Papierhersteller Deutschlands, mit 2.000 PS Wasserkraftleistung, 1.350 PS Dampfleistung und 1.000 PS Elektroleistung der Turbinen genannt. Es gibt ein 2,10 m Langsieb und 16 Stück Pappenmaschinen. Hergestellt werden Postkarten, Paketadressen, Billetdrucke, Karteikarten, Reklameund Einlegekartons, aber auch Packpapier, Pappeimer und eine Anzahl verschiedener Papiersorten. Nach Kriegsende, im Mai 1945, entsteht durch Brandstiftung ein Feuer in der Pappenfabrik. Das Gebäude brennt bis auf die erste Betondecke nieder. Im Sommer 1945 wird der Firmenchef Johann Gerhard Braun denunziert und beschuldigt, Herr Braun sei schuld am tragischen Tod einer Arbeiterin während des Brandes in der Fabrik. Die Anschuldigung wurde als willkommener Anlass für die Inhaftierung und Verschleppung in verschiedene Gefangenenlager ausgenutzt. Der Denunziant wurde kurze Zeit später in eine Nervenheilanstalt eingeliefert. Frau Braun erfährt kaum etwas über das Schicksal ihres Mannes. Sie muss 11 Hausdurchsuchungen ertragen und sich in dieser Notzeit allein mit zwei kleinen Kindern durchschlagen. In der Zeit der Inhaftierung wird zweimal über den Sender RIAS (Westberlin) der Tod des Fabrikanten gemeldet. Die Suche seiner Frau war jedoch erfolgreich. Sie konnte ihn zufällig in Bautzen in einem Außenkommando sehen und wusste somit, dass er am Leben ist. Erst im Dezember 1955 wird Johann Gerhard Braun freigelassen. Verbunden mit Betrieb und Heimat organisiert er, trotz des erlittenen Unrechts, wieder die Produktion in Rochsburg. Die Firma erholt sich von den Auswirkungen des Krieges. Obwohl sich die Mangelwirtschaft in Ostdeutschland immer mehr auswirkt, geht es im Betrieb aufwärts. Produziert wurden Pappen, Kartonagen und Rauhfaser-Tapeten. Auch in der Familie Braun kommt 1957 noch die ersehnte Tochter zur Welt. Es keimt verhaltener Optimismus auf, dass es im Betrieb und privat aufwärts geht. Aber schon 1960 wird Johann Gerhard Braun wieder verhaftet und muss 18 Monate aus fadenscheinigen Gründen in Untersuchungshaft verbringen. 1961 wird für die Entlassung des Unternehmers aus dem Gefängnis eine staatliche Beteiligung am Werk erpresst. Die Mehrheitsanteile kann die Familie jedoch noch bewahren. 1967 wird in der Wasserkraftanlage eine neue Voith-Turbine in Betrieb genommen. 1968 wird ein neuer Turbolöser als Ersatz für die herkömmlichen Köller eingesetzt. Eine bahnbrechende Neuerung in der Papierherstellung. 1969 geht die neue und zur damaligen Zeit, hochmoderne Stoffstraße in Betrieb. Die Gewinne aus der Produktion wurden während dieser Zeit sofort wieder in die Modernisierung des Betriebes investiert. Familie Braun lebt verhältnismäßig bescheiden. 1972 wird die Firma Christian Braun KG nach jahrelangen Repressalien des DDR-Regimes zwangsenteignet und den VEB Peniger Papierfabriken angegliedert, zu der 1965 schon die Papierfabriken Göritzhain und Lunzenau gezwungen wurden. 1974 wurde ein neuer, zweiter Dampfkessel mit Wanderrost für Brikett und Koks und einer Leistung von 12,5 t Dampf/h bei 15 at, mit Nassentaschung, zur Stabilisierung der Produktion eingebaut. Dabei wurde auch der verschlissene Schornsteinkopf mit Filter abgetragen und mangels Ersatz, ohne Filter wieder auf Höhe gemauert. 1982 entstand eine Fußgängerbrücke als Stahlkonstruktion zur Entlastung der verschlissenen Seilbahn. Ab 1983 wurde die Fabrik nur noch auf Verschleiß gefahren. Für den Erhalt der Anlagen wurden kaum noch Gelder bewilligt. Die enormen Aschemengen aus der Heizungsanlage wurden nur noch im Gelände des Betriebsteils Berthelsdorf verfüllt. Mit viel individuellem Engagement der Techniker konnte die Produktion bis zur Wende 1989 aufrechterhalten werden. Die Auswirkungen des Investitionsstaus wurden jedoch bis zur Wende 1989 immer dramatischer. 1990 wird Gerhard Braun politisch rehabilitiert. Zugleich bemühte sich die Familie Braun, ihren Betrieb von der damaligen Treuhandanstalt zurück zu erhalten. Die Anstrengungen schlugen jedoch, trotz tragfähigem Nutzungskonzept, fehl. Die Fabrik wurde stattdessen dem fragwürdigen und angeblich finanzstarken Investor Joseph R. aus Bayern zugeschlagen, der den Betrieb in kurzer Zeit mit Schulden von mehreren Millionen D-Mark in den völligen Ruin wirtschaftete. Seither fand sich kein Investor für den hochverschuldeten Betrieb. Die ehemaligen Pro – duktionsgebäude ver – fielen in der folgenden Zeit rapide. Lediglich die funktionstüchtige Wasserkraftanlage wur – de von Investoren aus Bayern 1992 aus dem Betrieb herausgelöst, danach modernisiert und liefert nach wie vor zuverlässig Strom ans Netz. 2014 erwarb die Stadt Lunzenau den Berthelsdorfer Teil der Fabrik mit Bahnlager, Heizhaus, Schornstein, Werkstattgebäude, Fußgänger- und Rohrleitungsbrücke und Trafohaus zum Zweck des Abbruchs der Industriebrache und Revitalisierung der Fläche als Wald. 2016 erhielt die Stadt Lunzenau die notwendigen Fördermittel aus dem Förderprogramm des Freistaates Sachsen zur Revitalisierung von Brachflächen. Die Gebäude konnten im gleichen Jahr abgebrochen- und es konnte auf der aufgeräumten Fläche Mischwald angepflanzt werden. Die Geschichte der Papier- und Pappenfabrik Rochsburg und der Familie Braun wurde dankenswerterweise von Frau Ingrid Dänschel geb. Braun anhand von Erinnerungen und aufbewahrten Dokumenten während eines Treffens am 31.08.2016 in Rochsburg wiedergegeben, von Gerald Karte niedergeschrieben und durch weitere Recherchen im Internet und im Stadtarchiv von Lunzenau vervollständigt. Diktaturen haben keine Achtung vor den Individuen und vor deren Lebensleistung. Freiheit ist tatsächlich das höchste Gut des Menschen und Parasiten, wie Joseph R., sind die Geißel unserer Volkswirtschaft!
Quelle:https://www.lunzenau.de/fileadmin/lunzenau/dateien/Lunzenauer_Nachrichten/2016/Heimatblatt_2016.pdf